THYSSENKRUPP STEEL EUROPE: KRETINSKYS 20-PROZENT-EINSTIEG BEI THYSSEN IST NUR DER ANFANG

Erst hat Thyssenkrupp angekündigt, die Produktionsmenge in Duisburg zu kürzen und Jobs zu streichen. Jetzt der nächste Paukenschlag: Daniel Kretinsky übernimmt 20 Prozent. Wie geht es weiter?

Jetzt ist es tatsächlich so weit: Die EP Corporate Group (EPCG) des tschechischen Investors Daniel Kretinsky erwirbt 20 Prozent der Anteile am Stahlgeschäft von Thyssenkrupp, also von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE). Das teilte die Thyssenkrupp AG am Freitagmorgen per Ad-hoc-Mitteilung und Pressemitteilung mit.

Am späten Vormittag erläuterten Thyssenkrupp-Chef Miguel López und EPCG-Vorstand Jirí Novacek den Deal in einem Call.

Über die Kaufsumme haben die Parteien Stillschweigen vereinbart. Zuletzt stand die Sparte mit 3,6 Milliarden Euro in den Büchern. Der Konzern hat Pensionsverpflichtungen in Höhe von 2,6 Milliarden Euro.

Nach der Vertragsunterschrift am Freitagmorgen soll der Abschluss des Geschäfts, das Closing, noch im laufenden Geschäftsjahr erfolgen. Bei seiner nächsten regulären Sitzung Ende Mai könnte der Thyssenkrupp-Aufsichtsrat grünes Licht für den Deal geben.

Kretinsky soll auf 50 Prozent erhöhen

Die Übernahme der 20 Prozent durch Kretinsky soll erst den Anfang der Partnerschaft markieren. Die Parteien sprächen über den Kauf weiterer 30 Prozent der Anteile am Stahlgeschäft durch die EPCG. „Ziel ist die Bildung eines gleichberechtigten 50/50-Joint Ventures“, heißt es in der Pressemitteilung. „Unser Ziel ist ein Zukunftskonzept, das zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit und unternehmerischem Erfolg von Thyssenkrupp Steel führt, den Anforderungen des Klimaschutzes entspricht, betriebsbedingte Kündigungen vermeidet und eine breite Akzeptanz findet“, sagte Thyssenkrupp-Chef Miguel Lopez laut der Mitteilung. Die EPCG erwerbe „bewusst zum jetzigen Zeitpunkt und zu den aktuellen Marktbedingungen“ jene 20 Prozent, um an der „Gestaltung und Neuausrichtung“ von Thyssenkrupp Steel mitzuwirken.

Gemeinsam wolle man ein „leistungsstarkes, profitables und zukunftsorientiertes“ Stahlunternehmen schaffen, das die „Kosten der Dekarbonisierung auf ein wettbewerbsfähiges Niveau“ senke und so die grüne Transformation beschleunige. Ein „starker Energiepartner wie die EP Corporate Group“ sei dafür „essenziell.“ Lopez sagte am Vormittag, es gebe keine Gespräche mit anderen Interessenten.

Thyssenkrupp argumentiert, dass der Anteil der Energie an den Produktionskosten für Rohstahl in Zukunft steige. Auf dem Gelände des Stahlwerks im Duisburger Norden sollen mit Koks befeuerte Hochöfen nach und nach durch klimaneutrale Direktreduktionsanlagen ersetzt werden. So der Plan. Die erste Anlage wird derzeit gebaut und soll 2026 in Betrieb gehen. Die Investition umfasst etwa drei Milliarden Euro, zwei Milliarden Euro davon stammen von Bund und Land Nordrhein-Westfalen. Die Anlage soll zunächst mit Gas, später mit Wasserstoff betrieben werden. Kretinskys Firmengruppe, die auf dem Energiegeschäft fußt, könne beim Handel mit Energie – und speziell Wasserstoff – Know-how einbringen, so das Argument.

Die Vereinbarung sei ein „erster Schritt auf dem geplanten Weg einer umfassenden strategischen Partnerschaft“, sagte Kretinsky selbst laut Pressemitteilung. Er sei überzeugt, dass das „Joint-Venture-Konzept“ eine „widerstandsfähigere Position“ sichern werde. Denn der gesamte europäische Stahlsektor werde „eine ähnliche Transformation durchlaufen wie der Energiesektor“ – mit anderen Worten: auch der Stahl müsse ergrünen. Er zolle der Stahlsparte Respekt, nannte sie einen „traditionsreichen Pfeiler der deutschen Wirtschaft“ und fühle sich „geehrt“, an dem „bahnbrechenden Transformationsprozess“ mitzuwirken. Bei der geplanten Restrukturierung der Stahlsparte wird Kretinsky ab jetzt mitreden. López bestritt am Vormittag aber auch nicht, dass der Deal eine Ausstiegsklausel des Tschechen beinhalten könnte.

Der Aktienkurs der AG legte am Freitagmorgen nach Handelsbeginn kräftig zu, schoss von knapp 4,50 Euro auf bis zu 4,93 Euro hoch. Anleger dringen seit Langem auf eine Lösung bei der Stahlsparte. Die Krupp-Stiftung, mit rund 21 Prozent größter Anteilseigner bei Thyssenkrupp, lobte den Schritt am Freitagmorgen „Die Stiftung begrüßt eine Beteiligung der EP Corporate Group am Stahlgeschäft von Thyssenkrupp“, hieß es. „Wir unterstützen Entscheidungen, die zur zukunftsfähigen Entwicklung des Unternehmens beitragen.“ Die Stiftung habe „großes Vertrauen in den Vorstand um Miguel Lopez“ und sei „weiterhin von dem Potenzial des Unternehmens überzeugt, wieder wettbewerbs- und dividendenfähig zu werden.“

Ein erster Erfolg für Lopez

Der Einstieg Kretinskys bei Thyssenkrupp Steel, auch mit vorerst nur 20 Prozent, ist eine Erfolgsmeldung für Thyssenkrupp-Chef Miguel Lopez, der eine Unterschrift schon für den vergangenen Oktober angekündigt hatte. Und sie ist eine Erfolgsmeldung für den neuen Vorstand Volkmar Dinstuhl, der sich seit Dezember um Fusionen und Übernahmen kümmert. Lopez kann nun den Vorwurf zurückweisen, er sei lediglich ein Ankündigungsweltmeister. Zuletzt war Lopez‘ Vorgängerin Martina Merz daran gescheitert, einen Käufer für die Sparte zu finden.

Allerdings bleibt der Einstieg unterhalb des von Lopez angestrebten Anteils von jeweils 50 Prozent. Das Bekenntnis Kretinskys ist verhaltener, als sich das der Konzernchef erwünscht haben dürfte. Und der Deal lässt viele Fragen offen. Die Frage etwa, zu welchem Preis Kretinsky sich auf das Abenteuer Thyssenkrupp eingelassen hat, bleibt vorerst unbeantwortet. Die Antwort ist allerdings zentral, um die Güte des Geschäfts für Thyssenkrupp bewerten zu können.

Wer der bessere Dealmaker ist, Lopez oder Kretinsky, ist noch längst nicht erwiesen.

Was bedeutet das für die Restrukturierung?

Kretinsky dürfte den Verlauf der weiteren Einstiegsverhandlungen auch davon abhängig machen, wie schnell und wie umfassend sich die Stahlsparte von Thyssenkrupp in den nächsten Monaten neu strukturiert. Vor wenigen Tagen erst hat Spartenchef Bernhard Osburg dem Strategieausschuss des Stahl-Aufsichtsrats vorgeschlagen, die Rohstahl-Produktionskapazität in Duisburg von 11,5 Millionen Tonnen im Jahr auf einen Korridor zwischen 9 und 9,5 Millionen Tonnen zu senken. In den nächsten Monaten soll ein konkretes Konzept erarbeitet werden, was das in der Umsetzung für die Weiterverarbeitung des Stahls im Konzern und damit für die knapp 27.000 Beschäftigten der Sparte bedeutet.

Allein am Standort Duisburg beschäftigt Thyssenkrupp Steel Europe rund 13.500 Mitarbeiter. Dazu kommen rund 3000 Mitarbeiter im Duisburger Stahlwerk der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM). Die HKM ist ein Joint Venture von Thyssenkrupp Steel Europe mit der Salzgitter AG und dem französischen Röhrenhersteller Vallourec. Wie viele Arbeitsplätze von den Restrukturierungsmaßnahmen betroffen sein werden, hat Thyssenkrupp nicht beziffert. Die Zahl dürfte in die Tausende gehen. Betriebsbedingte Kündigungen, hatte es geheißen, wolle man allerdings vermeiden.

Beschäftigte versammeln sich im Fußballstadion

Die Arbeitnehmer hatten als Reaktion auf die geplante Senkung des Betriebspunkts vor einem Kahlschlag gewarnt. Sie hatten darauf gedrungen, dass erst ein konkreter verhandelbarer Plan vorliegen müsse, bevor sie sich konkret zu Osburgs Absichten äußern könnten. Sie verwiesen auf eine Vereinbarung, die betriebsbedingte Kündigungen bis März 2026 ausschließt. Am nächsten Dienstag werden sich die Belegschaften aller Standorte zu einer betriebsinternen Veranstaltung im Stadion des MSV Duisburg versammeln. Man habe prinzipiell nichts gegen Milliardäre, hatte es bisher immer von Seiten der IG Metall immer geheißen. Es komme darauf an, wie der Stahl bei einer Verselbstständigung ausgestattet werde. Genau dieses wichtige Detail ist auch jetzt noch nicht geklärt. López wird trotz Aufforderung bei der Veranstaltung am Dienstag nicht dabei sein. Auf mehrmalige Fragen am Freitagvormittag hin, sagte er, dass ein konkreter Vorschlag für eine Restrukturierung derzeit noch nicht auf dem Tisch liege.

Scharf Kritik auf das Kommunikationsverhalten López gab es am Freitagmorgen von der IG Metall. „Die Nachricht über den Einstieg von EPCG kommt überraschend“, sagte IG-Metall Vize Jürgen Kerner, der auch stellvertretender Aufsichtsratschef bei Thyssenkrupp ist, per Pressemitteilung. „Die Mitbestimmung hat nur wenige Stunden vor der Öffentlichkeit von der Entscheidung erfahren. Das ist kein guter Stil und kein guter Start. Wir haben uns bekanntlich nie prinzipiell gegen einen Investor ausgesprochen. Aber wir erwarten Beteiligung der Mitbestimmung auf Augenhöhe und verbindliche Zusagen. Wir brauchen jetzt schnell ein tragfähiges Zukunftskonzept für den weiteren Umbau Richtung grünen Stahl – und endlich die Rückkehr zum Respekt vor der Mitbestimmung. Andernfalls ist der Konflikt programmiert. Die EPCG und die Thyssenkrupp AG müssen als Anteilseigner Verantwortung übernehmen für den angekündigten Restrukturierungsprozess. Das bedeutet: keine Kündigungen, keine Standortschließungen, Einhaltung von Tarifverträgen und Vereinbarungen.“

Tekin Nasikkol, Betriebsratschef der Stahlsparte und Konzernbetriebsratschefs bei Thyssenkrupp, sagte: „Nach der Ankündigung des Stahl-Vorstands vor zwei Wochen, die Rohstahlkapazitäten von 11,5 auf 9,5 Millionen Jahrestonnen zu senken und dabei Personal abzubauen, stellen sich mit dem geplanten Einstieg von der EPCG nun noch mehr Fragen. Welche Absichten hat Kretinsky? Wie sieht sein Plan, sein industrielles Konzept aus? Wir werden die Absichten und den Plan von Kretinsky sorgfältig und kritisch bewerten – wenn er denn vorliegt. Eine Zerschlagung oder Schrumpfkur lehnen wir ab.“ Kretinsky selbst hatte sich im vergangenen Winter in Essen mit der Arbeitnehmerspitze getroffen – und dort damals einen eher positiven Eindruck hinterlassen.

Kretinsky hat sein Firmenimperium mit geschickten Deals und genauer Berechnung aufgebaut. Als Investor ist er in Europa allgegenwärtig. Innerhalb von zwei Jahrzehnten ist er zu einem der „bekanntesten Dealmaker“ („Financial Times“) aufgestiegen. Kretinskys Holding EPH mit mehr als 70 Tochterfirmen und einer Kapazität von 14,4 Gigawatt gehört zu Europas größten Stromerzeugern. Sie betreibt Kraftwerke etwa in Tschechien, in Großbritannien, in Frankreich und in Italien, viele befeuert mit Kohle. Dazu unterhält allein die Leag mit Sitz in Cottbus vier Tagebaue und vier Braunkohlekraftwerke in Sachsen und Brandenburg, Kapazität: acht Gigawatt. Die Leag hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 eine grüne „Gigawattfactory“ mit einer Kapazität von 7 Gigawatt an Wind- und Solarkraft aufzubauen.

Das ist Kretinskys Reich

Kühn hat Kretinsky lange darauf gewettet, dass niemand so schnell auf Kohlestrom wird verzichten können, wie sich das etwa die Regierung in Berlin erträumt. Immer wieder hat er für kleines Geld fossile Kraftwerke gekauft, etwa Emile-Huchet in Lothringen oder Schkopau in Sachsen-Anhalt. Sein französischer Biograf Jerome Lefilliatre nennt ihn deshalb den „Müllsammler Europas“. In der Energiekrise hat Kretinsky diesen „Müll“ in Gold verwandelt. Der Bedarf war so groß, die Preise so hoch. Die EPH verdoppelte ihr Ergebnis 2022 gegenüber dem Vorjahr fast, auf 4,35 Milliarden Euro. Jetzt muss das Geld irgendwo hin. Der tschechischen Ausgabe des US-Magazins „Forbes“ sagte Kretinsky, sein Unternehmen sei zu Wachstum „verdammt“. Und deshalb kauft er. Und kauft. Über diverse Holdings investiert er in Logistik, in Einzelhandel, in Medien, interessiert sich für energieintensive Branchen. Kretinskys Portfolio ist ein buntes Schaufenster bisweilen verblichener Marken.

In Tschechien ist er an der Boulevardzeitung „Blesk“ beteiligt und am Fußballclub Sparta Prag. In Deutschland gehört ihm die Großmarktkette Metro zu knapp 46 Prozent. In Frankreich besitzt er Magazine wie „Elle“, auch Editis, den zweitgrößten Verlag des Landes; bei „Le Monde“, dem Flaggschiff des frankophonen Journalismus, ist er ausgestiegen. Ein Konsortium um Kretinsky hat jüngst die französische Supermarktkette Casino übernommen, eine Übernahme des Altgeschäfts des IT-Dienstleisters Atos allerdings ist geplatzt. In Großbritannien gehören ihm Teile der Royal Mail, der Supermarktkette Sainsbury’s, des Premier-League-Clubs West Ham United. Und. Und. Und. Forbes schätzt das Vermögen des 48-Jährigen auf 8,6 Milliarden Euro.

In einem Interview im vergangenen Jahr hat er angedeutet, dass er seine Investitionen nun in energieintensive Branchen ausweiten werde. Die Stahlbranche hat er nicht ausdrücklich genannt. Aber jetzt verleibt er sich zumindest einen Teil eines großen, etwas verblichenen Namen ein: Thyssenkrupp Steel Europe.

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